zur Navigation springen

Berichte von der Oderfront - Teil 1


Erlebnisbericht eines Angehörigen der Waffen-SS von der Oderfront

32. SS-Division „30. Januar", 86. Gen.- Regiment „Schall" im Februar 1945 in

Vogelsang

Schilderung der schweren Kämpfe um die
damalige Grube und um das Kraftwerk Vogelsang

 

Es folgt ein Bericht von Claus Bartels zu Ereignissen vom Februar 1945 in der Nähe von Vogelsang. Sowjetische Verbände hatten das Kraftwerk Vogelsang erstürmt und waren bis zum April 1945 dort verschanzt.

Für die Kämpfe zur Rückeroberung des Kraftwerkes Vogelsang wurden 135 Jugendliche aus Fürstenberg (Oder) rekrutiert. Die meißten sind gefallen.

Es war nicht irgendwo, es war für viele Vogelsänger vor der Haustür oder vor der Haustür der Eltern / Großeltern.

- Keine Fiktion, Wirklichkeit -

Die folgenden Texte stammen aus dem Buch „Endstation Oderfront", erschienen im Verlag Gerald Ramm Woltersdorf. Bernhard Lehmann aus Vogelsang hat diesem Buch einige Passagen entnommen, in denen Ereignisse um Vogelsang geschildert werden. Daraus hat er diesem Beitrag zusammengestellt (alte Rechtschreibung beibehalten).

Der Leiter des Verlages Gerald Ramm Woltersdorf hat diese Veröffentlichung genehmigt.

 

Autor: Claus Bartels

 

ehemalige Blockstelle
ehemalige Blockstelle
Foto: Lehmann
Wir waren im Februar 1945 bei den Kämpfen in Vogelsang. Es war der Befehl gekommen, daß 40 Freiwillige sofort zum Munitionstransport nach vorne müßten. Wir alle meldeten uns natürlich „begeistert" zu diesem Auftrag. Der Batallions-Gefechtsstand befand sich in der Blockstelle Vogelsang. Dort mußten wir uns melden. In der Nähe dieser Blockstelle befand sich ein noch nicht im Betrieb gewesenes Elektrizitätswerk. Besonders zu bemerken ist, daß das Werk über 2 große Schornsteine verfügte, auf welchem die russischen Artilleriebeobachter saßen. Das Kraftwerk Vogelsang - ein schwer umkämpfter Brückenkopf an der Oder
Das Kraftwerk Vogelsang -
ein schwer umkämpfter Brückenkopf an der Oder
Auf ihnen wehte eine rote Fahne. Ich schildere nun einige meiner Erlebnisse an der Front.

Wie ich schon schrieb, standen wir an der Blockstelle Vogelsang und warteten auf den Auftrag. Nachdem wir 2-3 Stunden gewartet hatten, wurde der 1. Einsatzbefehl zurückgezogen. Während dessen heulten ununterbrochen die Granaten über unsere Köpfe hinweg. Wie wir später erfuhren, machte damals gerade eine kleinere, eigene Kampfgruppe einen Erneuter Angriff auf das Werk
Erneuter Angriff auf das Werk
Angriff auf das Werk. Dieser Angriff glückte aber nicht ganz, weil unsere eigenen Nebelwerfer das Werk unter Beschuß nahmen, als schon der Stoßtrupp fast im Besitz der Stellung war. Die Verluste durch die eigenen Granaten waren beträchtlich, so daß das Werk wieder aufgegeben werden mußte.

An einem anderen Tag sind wir in ein stark zerstörtes Fabrikgebäude gezogen. Als der Einsatzbefehl kam, machten wir uns schleunigst fertig und nahmen nur Waffen und Munition mit. Verpflegung hatten wir leider keine mehr im Besitz. Im Eilschritt rasten wir 40 Mann durch den Wald und den Bahndamm entlang zur Blockstelle Vogelsang. Es schien allerhand los zu sein, die Schüsse peitschten immer dichter über uns hinweg. Auch etliche „schwere Koffer" heulten und krepierten in unserer Nähe. Als wir an der Blockstelle Vogelsang ankamen, wurden unsere Ahnung bestätigt, und zwar war ein heftiger Angriff vor uns auf Vogelsang im Gange. Der Ort wurde nach mehrstündigem harten Häuserkampf eingenommen, jedoch unter hohen eigenen Verlusten. Wir selbst nahmen an diesem Ringen nicht teil. Wir sollten dafür den Angriff auf das E-Werk einleiten. 2-3 Stunden mußten wir noch vor der Blockstelle warten. Währenddessen trafen nach und nach die ersten Leichtverwundeten von Vogelsang ein. Später brachte man dann die Schwerverletzten. Viele von ihnen werden wohl noch gestorben sein, da es an Sankas fehlte. Die armen Kerle sahen schlimm zugerichtet aus. Kaum notdürftig verbunden, jammernd und stöhnend lagen sie im kalten Keller der Blockstelle. Nur die schwersten Fälle konnten sofort mit einem Auto abtransportiert werden. Ein solcher Eindruck war ja nicht gerade ermutigend, trotzdem wollten wir bald mit ran, denn so herumstehen war recht lästig bei der Kälte. Ein verwundeter Führer, der uns hinten so tatenlos herumstehen sah, jagte uns sofort nach vorn, da die wenigen Kameraden sich kaum noch halten konnten. Zufällig fuhr auch ein Sturmgeschütz nach vorn zur Unterstützung. Ich schwang mich mit auf den Kasten. Wir sind aber nur ein Stückchen mit dem Ding gefahren, als wir uns wegen Heutiger Blick auf Vogelsang
Heutiger Blick auf Vogelsang
Feindeinsicht und Feindesnähe langsam durch einen Wald vorarbeiten mußten. Am Waldesrand sammelten wir uns und machten uns fertig zum Angriff. Wir sollten Artillerie-Unterstützung erhalten, in Form von einem Dauerfeuer, welches jedoch aus nicht geklärten Gründen ausblieb. Anscheinend aber hatte die russische Artillerie bemerkt, daß wir einen Gegenstoß planten. Plötzlich wurden wir mit Granatwerferfeuer zugedeckt. Die ersten Verwundeten blieben dabei nicht aus. Ich sprang schnell in einen Graben, in dem noch ein anderer Grenadier lag. Ich wunderte mich über seine komische Haltung, wie er da im Graben lag. Als ich näher heran ging, merkte ich, daß er tot war. Kopfschuß! Vor uns lagen außerdem noch etliche tote Kameraden. Kein schöner Anblick. Meist sind die Toten voller Blut und Dreck gewesen. Mund und Augen weit offen! Sie lagen in verkrampfter Haltung so, wie sie gefallen waren. Durch die Totenstarre und Kälte waren die Körper ganz hart gefroren. Nach dem das Feuer ein wenig nachgelassen hatte, arbeiteten wir uns sprungweise vor. Der Russe hatte anscheinend noch nichts bemerkt, denn wir spürten keine Abwehr.

Auf diesem Gelände stand die ehemalige Grube Vogelsang
Gelände der ehemaligen Grube Vogelsang
Wir mußten zuerst über ein freies Feld, was uns auch ungeschoren gelang. Im angrenzenden Wald nisteten wir uns ein. Wir warteten solange, bis die 2 Sturmgeschütze, welche wir zur Unterstützung angefordert hatten, eine kleine Braunkohlenfabrik mit angeschlossenem Bergwerk unter Beschuß nahmen. Das Ziel war, das Werk in Besitz zu nehmen. Dadurch wäre dann eine empfindliche Einengung des russischen Brückenkopfes an der Oder erreicht worden.

Im Anschluß an das Bergwerk folgte das Elektrizitätswerk. Doch anscheinend mußte der Iwan etwas von unserer Absicht gemerkt haben, denn vereinzelte Schüsse pfiffen dicht über uns hinweg. Es wurde auch bald darauf das Haus entdeckt, in welchem vermutlich die russischen Scharfschützen saßen. Ein Sturmgeschütz hat daraufhin das Dach des Hauses fast abgeschossen. Trotzdem ließ das Feuer nicht nach, sondern wurde noch von Maschinenpistolen verstärkt. Zwischen Holzstößen und Eisenträgern krochen wir dicht an das Haus heran. Es war eine schöne Villa, doch trotzdem mußte sie daran glauben. Erst warfen wir etliche Handgranaten in die Zimmer und dann zündeten wir eine kleine Scheune an, in welcher wir ebenfalls Russen vermuteten. Ab und zu schlug auch eine Granate in bedenklicher Nähe ein. Jetzt hatten wir die Aufgabe, die Keller des Hauses zu durchsuchen.

Gern übernahm keiner von uns diese Aufgabe. In diesem Fall aber waren die Russen anscheinend schon abgezogen. Als wir uns, dicht an die Hauswände gepreßt, zum Werkshof vorarbeiten wollten, erhielten wir ein mordsmäßiges Feuer aus allen Waffen. Hierdurch traten bei uns die ersten Verluste ein. Mein bester Kamerad, Walter Hant, sowie noch einige andere, wurden hierbei schwer verwundet. Wir schmissen uns in den Kohlenstaub und warteten auf neue Befehle. Die Verwundeten wurden währenddessen unter Gefahr zurückgetragen. Ein Kamerad, welcher mehrere Splitter in den Bauch bekam, starb innerhalb von 5 Minuten. Ein sterbender Kamerad konnte uns nicht mehr beeindrucken, da der Einsatz wohl jedem Soldaten hart und mitleidlos gemacht hatte. Als unser Führer einsah, daß wir aufgrund der starken Abwehr und Befestigung nicht in das Haus eindringen konnten, befahl er uns zum Rückzug.

Hier stand das damalige Kriegsgefangenenlager (STALAG) bei Fürstenberg(Oder)
Standort Kriegsgefangenenlager (STALAG 3B)
bei Fürstenberg(Oder)
Am nächsten Morgen, es war der 12. Februar 1945 gegen halb 4 Uhr, machten wir uns zum 2.Gegenstoß fertig. Diesmal sollte das Braunkohlenwerk unbedingt genommen werden. Wir griffen das Werk aber von der Flanke her an, in der Hoffnung, daß dort die russische Verteidigung schwächer sei. Geräuschlos schlichen wir uns an das erste Vorwerk heran. Doch als wir schon glaubten, der Russe würde nichts merken, setzte plötzlich ein mordsmäßiges Abwehrfeuer ein. Mit Verlusten mußten wir uns auch diesmal ohne Erfolg schleunigst zurückziehen. In einem kleinen Wäldchen gruben wir uns erneut ein Loch. Gesundheitlich fühlte ich mich gar nicht wohl, was wohl auf das kalte und nasse Wetter zurückzuführen war. Wir verspürten einen mächtigen Kohldampf. Ein Kamerad machte sich auf, um etwas Essen und Decken aufzutreiben. Uns war nämlich zu Ohren gekommen, daß sich bei uns in der Nähe ein großes Kriegsgefangenenlager befinden soll. (Bemerkung von Le.: Gemeint ist das Gefangenenlager "STALAG" bei Fürstenberg(O), entlang der Bahnstrecke)

Nach einer Stunde kam unser Kamerad astend mit einem großen Sack zurück. Wir wurden jedoch furchtbar enttäuscht, denn der Sack enthielt: nur Hundekuchen! Dazu noch knochenhart! Dieser stammte sicher von den Wachhunden des Gefangenenlagers.

Blick vom Wald, von wo der letzte, geschilderte Angriff auf das Werk erfolgt sein könnte
Blick vom Wald, von wo der letzte, geschilderte Angriff
auf das Werk erfolgt sein könnte
Am 15.2.45 hatten wir wieder Feindberührung. Dieser Tag wurde mir auch als Nahkampf ins Soldbuch eingetragen. Morgens um 7 Uhr machten sich 2 Kompanien fertig zum Angriff auf das E-Werk. Diesmal sollte der Angriff ohne jegliche Unterstützung von der Flanke aus durchgeführt werden. Wir lagen in einem kleinen Wäldchen. Links und rechts der Wiese standen einige Häuser, welche von russischen Scharfschützen besetzt waren. Hinter einem Bahndamm (Le: Gemeint ist der Bahndamm der Grubenanschlußbahn zum Kraftwerk!) wiederum durch ein kleines Wäldchen gedeckt, lag das E-Werk. Gruppenweise krochen wir hintereinander in einer Mulde entlang. Bahndamm der Grubenanschlußbahn zum Kraftwerk
Bahndamm der Grubenanschlußbahn zum Kraftwerk
Ich war bei der 7.Gruppe und befand mich daher in der Mitte der Mulde. Die 1. Gruppe mit dem Kompanieführer, einem Oberjunker und 7 Mann kamen im geschlossenen Sprung über den Bahndamm ohne Beschuß hinweg. Als jedoch die 2.Gruppe folgen wollte, wurde sie ganz plötzlich von 2 MGs und Scharfschützen unter Feuer genommen. Die ganze Gruppe wurde kampfunfähig. Nun setzte auch ein mörderisches Granatfeuer ein. Ich arbeitete mich noch ungefähr 50 m vor, so bis kurz vor dem Bahndamm. Nach und nach knallten die russischen Scharfschützen von uns einen nach dem anderen ab.

Es ist ein unbeschreibares Gefühl, wenn die Kugeln dicht über einem hinweg pfeifen oder ganz kurz zuvor in den Dreck hinein spritzen. Mein Kamerad, der genau neben mir lag, schrie auf einmal furchtbar auf, faßte sich an den Bauch, stöhnte und röchelte noch ein Weilchen, bis er still da lag. Wie mir da zumute war, kann ich gar nicht wiedergeben. Ich erwartete in jedem Augenblick, daß auch mich eine Kugel traf. Ganz dicht neben uns haute eine Granate von einem Werfer ein. Ich machte mich so dünn, wie es nur ging. Die Splitter surrten wie toll um uns herum. Einer sauste in meinem Oberschenkel. Ich habe davon aber nicht viel gemerkt. Ich spürte wohl ein leichtes Brennen. Erst das Blut machte mich darauf aufmerksam. Später bekam ich ein großes Pflaster darauf und die Sache war erledigt. Ich hatte jedenfalls noch "Schwein" gehabt. Doch damit war der Beschuß keinesfalls zu Ende. Vor und hinter mir, ja überall, stöhnten und jammerten die verwundeten Kameraden. Kein Mensch konnte ihnen helfen, denn es war unmöglich, auch nur den Kopf ein bißchen in die Höhe zu nehmen. Ich schob meinen Stahlhelm ins Genick und schaute ungefähr eine halbe Stunde auf den Erdboden. Jedes Steinchen hatte ich mir angeschaut. Von hinten wurde von den wenigen Ungetroffenen durchgegeben, weiter vorzukrauchen. Ich aber blieb stur liegen, denn wie kann denn ein Mensch beurteilen, der hinten im Sicheren sitzt, wie es vorne aussieht. Vor mir waren nur Verwundete und Tote. Die Leichtverwundeten schleppten sich mit aller Kraft zurück. Von den sieben Mann der ersten Gruppe hatten wir nie mehr etwas gehört. Da ich sah, daß es zwecklos ist, noch weiter hier zu liegen, wollte ich mich zurückziehen. Dieser Entschluß war nicht leicht, denn beim Umdrehen in der Mulde konnte man leicht den Rest bekommen. Blitzschnell sprang ich auf und rannte 20 m zurück. Gott sei Dank habe ich dabei nichts abbekommen. Meine Kameraden, es waren nur noch wenige, schlossen sich mir an. Es ist ein furchtbar harter Entschluß, seine verwundeten Kameraden liegen zu lassen. Manche flehten uns an, sie doch wenigstens ein Stückchen mitzuschleifen. Dies war aber vollkommen unmöglich, da ein Verwundeter von mindestens 2 Mann vorsichtig und langsam getragen werden mußte. In gebückter Haltung beim Laufen hätte man garantiert ein paar Ladungen ins Kreuz bekommen. Hinten im Wald angekommen, machte uns ein Untersturmführer darauf aufmerksam, daß wenn es noch einmal passiert, daß wir den Auftrag nicht durchführten, er uns kurzerhand umlegen würde. Dieser Idiot hatte ja gut reden, denn er saß im sicheren Graben. Ich selbst habe bei dem Angriff drei verschiedene Gewehre besessen, aber die Knarren wurden durch den Sand alle unbrauchbar. Infolge der Ladehemmung konnte man keinen Schuß mehr herausjagen. Überhaupt bestand der ganze Boden der Gegend aus Sand. Einerseits war diese Bodenbeschaffung ja vorteilhaft, da man sich schnell in die Erde hineinwühlen konnte.

Nach diesem Angriff, welcher mit 70% Verlusten endete, wurde ich MG-Schütze1. Mein Vorgänger war anscheinend gefallen. Einige meiner Kameraden hatten beim Anbruch der Dunkelheit die Aufgabe, die bei dem Angriff Gefallenen zurückzuholen. Dies war immerhin eine ziemlich gefahrvolle Sache. Vor allem durfte man ja nicht leuchten, da man sonst von den Russen erkannt würde und dies erschwerte natürlich das Aufsuchen der Toten. Die, welche beim Angriff nur verwundet wurden, sich jedoch nicht selbst zurückschleppen konnten, sind leider erbarmungslos erfroren oder verblutet. Den Toten schob man eine Bohnenstange in die Kniekehlen und eine weitere unter die Arme. 4 Mann trugen sie dann so nach hinten. Dabei kann man es kaum fassen, daß dieser zum Teil zerrissene und verblutete Körper einmal ein Kamerad gewesen war, mit dem man schon wochenlang in Not und Freud zusammenlebte. Im Graben hinten hatten wir uns von einem Schrebergarten eine Schubkarre zugelegt, welche wir als „Leichenwagen" benutzten. Ein Toter wurde längs, einer quer darüber gelegt. Dann hatte einer von uns die Aufgabe, die Karre vorn mit einem Strick zu ziehen, während der andere schob. Hinten wurde dann entweder ein provisorisches Grab gewühlt oder sie wurden mit dem Essenwagen nach Fünfeichen auf dem Friedhof gefahren. Ich selbst habe auch mehrmals bei der Beerdigung geholfen. Es wurde ein 1,50 m tiefes Loch gebuddelt, wo dann der Tote, ohne in irgend etwas eingewickelt zu werden, hineingezogen wurde. Man zog ihm höchstens noch die Schuhe oder Stiefel aus. Vorher mußte der „Gräber-Offizier" immer die mühevolle Arbeit der Identifizierung vornehmen. Ich glaube, ein Mensch, der sich nicht ganz in der Gewalt hat, könnte dies nicht fertig bringen.

Es kam vor, daß die Toten 3 – 4 Wochen schon im Vorfeld lagen und die Körper anfingen, zu verwesen. Wenn man in diesen Fällen nach der Erkennungsmarke suchen mußte - und so ein Körper stinkt abscheulich, widerlich süß – so wird den meisten dabei schlecht. Ich selbst mußte mich dabei fast übergeben. Furchtbar ist auch der Anblick, wenn die menschlichen Körper, zum Teil ohne Arme oder Beine, mit aufgerissenem Leib, vor einem liegen. Ich habe mir mehrmals Fotografien und Soldbücher von Toten angeschaut. Man kann sich gar nicht vorstellen, daß ein Mensch, der einem auf der Fotografie lächelnd entgegenblickt, der gleiche ist, der jetzt vor einem mit aufgerissenen Augen und geöffneten Mund voller Blut und Dreck in verkrampfter Haltung daliegt. Es tut nur gut, daß die Angehörigen diesen schrecklichen Anblick nicht vor Augen bekamen. Stur und teilnahmslos schmiß man Schippe für Schippe auf die Toten, bis sich die Löcher wieder mit Erde füllten. Ein schlichtes Bretterkreuz kündigte die Ruhestätte eines deutschen Grenadiers an. Leider sind auch die vielen Holzkreuze unbeschriftet geblieben, da die Gefallenen oft keine Papiere o.ä. bei sich getragen hatten. Die Angehörigen werden wohl vergeblich gewartet haben. Dort wo die Eltern noch benachrichtigt werden konnten, wurde natürlich nur von einem "Begräbnis mit allen militärischen Ehren" gesprochen.

Es mag wohl der 20. Februar 1945 gewesen sein. Nach dem letzten mißglückten Angriff gruben wir uns erneut in der Nähe des Werkes ein. Ich selbst war so abgespannt, daß ich noch nicht einmal die Energie aufbrachte, überhaupt einen Spatenstich zu machen. Neben mir schippte Grenadier Weber. Ich sagte ihm noch, daß es Mist sei, daß wir uns wieder eingraben müßten, zumal wir am Abend bestimmt wieder Stellungswechsel machen würden. Plötzlich fing es an zu heulen und nicht weit von uns haute eine leichte Granate ein: Hastig begann ich mich nun in die Erde hineinzuwühlen. Doch kaum hatte ich eine flache Kuhle fertig, als ungefähr 5 m neben mir eine Granate krepierte. Für die nächsten 30 Sekunden merkte ich nichts mehr. Als ich langsam wieder denken konnte, schaute ich zu Weber, welcher vor seinem Loch lag und leise stöhnte. Mir dröhnten furchtbar die Ohren und außerdem war ich überall voller Dreck. In meinen Ohren surrte es in allen Tonarten. Dem Willy Wiedemann war Gott sei Dank nichts passiert. Ein Kamerad und ich hoben Weber auf. Er konnte sich auch noch selbst einige Sekunden auf den Beinen halten, doch gleich darauf sackte er in sich zusammen. Seine rechte Schulter war von einem großen Splitter aufgerissen. Zwei andere Soldaten halfen uns noch, ihn aus dem Artilleriefeuer herauszuschleppen. Wir legten ihn auf eine Tür und trugen ihn im Eilschritt nach hinten zur ersten Verbandsstelle. Er murmelte noch ein paar Mal den Namen seines Kameraden. In der Verbandsstelle sahen wir die größere Wunde unter der Schulter. Notdürftig wurde er verbunden. Wir wollten ihn sofort nach hinten bringen, jedoch der Kamerad von der Wehrmacht sagte, daß wir ihm leider nicht mehr helfen könnten. Trotzdem luden wir ihn wieder auf die Tür und trugen ihn durch einen Wald zum ehemaligen Kriegsgefangenenlager. Er röchelte noch ein bißchen, überrollte seine Augen und verstarb, ehe wir es überhaupt richtig bemerkten und fassen konnten.

Bis 1954 wußten die Angehörigen vom Weber nichts von seinem Schicksal und wo er begraben liegt. Es ist bedauerlich, daß ich erst 9 Jahre nach Kriegsschluß zum „Roten Kreuz" ging. Weber wurde im Februar in Fünfeichen an der Oderfront, zusammen mit rund 500 Soldaten begraben. Später wurden von dort alle Toten nach Halbe überführt. und dort bestattet.

Massengrab von zahllosen, unbekannten deutschen Soldaten in Vogelsang
Massengrab von zahllosen, unbekannten
deutschen Soldaten in Vogelsang

Zusatz von Bernhard Lehmann

Auch auf den Friedhof in Vogelsang befindet sich ein Massengrab mit unzähligen, unbekannten deutschen Soldaten. Ebenso steht dort nebenan das Ehrenmal der gefallenen sowjetischen Soldaten.

Ehrenmal der gefallenen sowjetischen Soldaten in Vogelsang
Ehrenmal der gefallenen
sowjetischen Soldaten in Vogelsang
Wir Einwohner von Vogelsang gedenken, im Zusammenhang mit dem vorstehenden, erschütternden Bericht des Grenadiers Bartels, den vielen Toten diesseits und jenseits der Fronten, die bei den schweren Kämpfen in und um Vogelsang gefallen sind.

Anmerkungen des Herausgebers:

Bartels kam im Kessel von Halbe in russische Gefangenschaft. Er hatte relatives Glück und kam nach wenigen Jahren wieder frei. Nach einiger Zeit in der Bundesrepublik, siedelte er nach Kanada aus, wo er im Januar 2007 verstarb.

 

Hinweise und Bemerkungen von Bernhard Lehmann

Die Fotoaufnahmen wurden von mir für den Zweck gefertigt, dem Leser überhaupt eine Vorstellung vom örtlichen Gelände der stattgefundenen Kampfhandlungen zu geben. Seit 1945 haben der Mensch und die Natur die Plätze so verändert, dass die Aufnahmen von heute die Realität von einst nicht mehr widerspiegeln. So wurde zwar das Kraftwerk durch die Bombardierungen, den Artilleriebeschuß und den ständigen vergeblichen Rückeroberungsangriffen stark zerstört, jedoch nicht so sehr, wie es die jetzigen Aufnahmen zeigen. Die Ruine wurde nach Kriegsende zur Gewinnung von Baumaterial genutzt. Später in der DDR diente es den Kampfgruppen und der Zivilverteidigung als Übungsgelände.. Sie ist jetzt in hohem Maße einsturzgefährdet. Vor einigen Jahren wurde mit dem Abriss begonnen, ist aber kurz darauf vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) wegen der nistenden, zu schützenden Vogelarten gestoppt worden.

Das Foto vom Gelände der ehemaligen Grube Vogelsang läßt kaum noch etwas vom Werk erkennen. Die Anlagen wurden demontiert und das Gelände der Natur überlassen. Ich habe als Jugendlicher in diesem Werk nach Kriegsende mit einer Gruppe von Eisenbahnern auf Anordnung der sowjetischen Stadtkommandantur in Fürstenberg (O) an der Verladung von Maschinen und Material teilgenommen. Wie wir dort die Grubenbahnlok in Betrieb nahmen und diese in den ersten Nachkriegsmonaten für die Wiederherstellung der Bahnanlagen auf der Strecke Fürstenberg (O) - Finkenheerd nutzten, habe ich u.a. in meinem Erlebnisbericht geschildert.

Dieser Bericht wurde von meinen Kollegen und Eisenbahnfreunden in Frankfurt (O) im Internet veröffentlicht unter:

www.eisenbahnfreunde-ffo.de / Geschichte / Eisenbahner erzählen ...

 

Bernhard Lehmann
Vogelsang im Februar 2012
(Jahrgang 1930)